Maurizio Pollini und Steinway — ein Nachruf
Die Musikwelt trauert. Sie ist eine andere ohne Maurizio Pollini. Seit Ewigkeiten war er ein Solitär des Klaviers und wird es immer sein. Bei Steinway fassen wir das in einem einzigen Wort zusammen: Immortal. Wir vermissen ihn.
Eine Vielzahl von Nachrufen berichten über sein Leben und seine Karriere. Darum beleuchten wir hier drei Aspekte über das Verhältnis zwischen Pollini und Steinway. Die Partnerschaft war einheitlich und unverbrüchlich. Das bedeutete freilich nicht, dass sie völlig unkompliziert war. Wie im Prinzip alle Pianisten, sehnte Pollini sich nach dem idealen Instrument. Seine Vorstellungen waren sehr klar, wie sein Flügel zu sein hatte, bei Konzerten, Aufnahmen und daheim.
Da jeder Steinway nun mal absolut individuell ist, stellte sich die Frage ein ums andere Mal neu. Insofern war es nicht nur eine Ehre, mit dem Maestro zusammenzuarbeiten, sondern auch eine immer wiederkehrende neue Herausforderung. Pollinis Ideen und Ansprüche waren hoch! Seine Motivation war dabei nicht etwa Eitelkeit, sondern Verantwortung. Es ging ihm um die Musik, darum, den Komponisten gerecht zu werden und dem Publikum. Er war ein vorsichtiger Künstler, teils skrupulös und oft lange zweifelnd, bevor die optimale Lösung gefunden war. Wir hatten dafür vollsten Respekt und hielten uns vorbereitet mit Zeit, Flexibilität, Empathie und auch kräftigem Espresso!
Pollini Wünsche, wie sein Flügel im Konzert sich anfühlen und klingen sollte, schlugen sich schon bei der Positionierung des Instruments auf der Bühne nieder und nahmen viel Aufmerksamkeit und Zeit in Anspruch. Kam er beispielsweise in die Laeiszhalle nach Hamburg, so platzierten wir den Flügel exakt dort, wo sich schon Jahre zuvor die optimale Position herauskristallisiert hatte: der rechte Fuß des Flügels stand auf der siebten Holzreihe des damaligen Bühnenbodens und die Deckelstütze war genau auf Höhe von Platz 16 des Gestühls. Eigentlich war alles bereit, wenn er kam.
Ohne Kalibrierung ging es jedoch nicht. Der Flügel wurde mehrfach in kleinen Abständen bewegt, teilweise nur um 10 cm vor-, seit- und rückwärts, und immer wurde der Klang im Saal geprüft. Am Ende stand der Steinway zumeist dann doch wieder auf der Ausgangsposition… Dieses Prozedere war für Pollini eine typische und notwendige Vorbereitung und gab ihm Sicherheit für den Konzertabend. Was in Sternstunden resultierte, hatte meist solchen Vorlauf.
War er dort teilweise angespannt, konnte er jedoch auch von heiterer Gelassenheit sein. Einmal war es nahezu segensreich: 2010 war das Jahr von Chopins 200. Geburtstag und das 50. Jubiläum von Pollinis Sieg im Warschauer Chopin Wettbewerb. Vor diesem Hintergrund setzte Steinway eine Maurizio-Pollini-Edition von B-Flügeln auf, welche der Maestro selbst auswählen und auf der goldenen Gussplatte signieren sollte. Ein Teil des Erlöses floss in die Finanzierung eines Steinway B-Flügels für das Nationale Chopin Institut in Warschau. Dieses Projekt führte ihn zu den Anfängen seiner Laufbahn und er schätze es sehr.
Die Umsetzung erwies sich als komplex. Seine Terminlage ließ es nicht zu, zur Flügelauswahl in die Steinway Manufaktur nach Hamburg zu reisen. Er war auf ein Rezital zu Ehren von Pierre Boulez im Kultur- und Kongresszentrum Luzern (KKL) fokussiert. Wenn er also nicht zu uns kommen konnte, kamen wir halt zu ihm. Wir transportierten zehn Steinway B-Flügel nach Luzern. Das KKL überließ uns für die Auswahl das Foyer mit der Auflage, rechtzeitig zur Abendveranstaltung wieder verschwunden zu sein. Der Zeitplan war minutiös durchgetaktet. Pollini war einverstanden und würde in seinem Hotel auf die Information warten, dass alle Flügel aufgestellt waren und seiner harrten.
Doch dann geriet der Tag aus den Fugen. Die Transporteure erschienen nicht. Zum vereinbarten Anlieferungstermin hatten sie noch nicht einmal die deutsch/schweizerische Grenze passiert! Ein Anruf mit Herzklopfen bei Pollini war notwendig: „Maestro, the movers are running late.“ Er reagierte entspannt : „Okay, I wait“. Welche Erleichterung! Aber es waren weitere Anrufe dieser Art nötig. Am Ende betrug die Verspätung sechs Stunden! Wir sahen die Felle davonschwimmen…
Jedoch gab es eine einzige Konstante: Pollinis Gelassenheit hielt den ganzen Tag an! Als er schließlich eintraf, war die verbliebene Zeit erheblich begrenzt. Konzentriert spielte er die Flügel an und teilte dem Konzerttechniker seine Wünsche und Empfehlungen mit. Er wählte acht Instrumente, die ihm besonders gefielen, und signierte sie sowie die zugehörigen Zertifikate, die seine Auswahl bestätigten. Er freute sich, maßgeblich dazu beigetragen zu haben, dass das Nationale Chopin Institut in Warschau den lang ersehnten Steinway erhielt! Und als er aufbrach, wünschte er uns noch viel Erfolg für den Rücktransport… Die Auswahl stand kurz vor dem Scheitern. Pollini rettet sie.
Einer der eminentesten Pianisten überhaupt zu sein, war Maurizio Pollini natürlich bewusst. Jedoch war er deswegen nicht etwa überheblich. Im Gegenteil, er hatte (zumindest) ein Idol: Arturo Benedetti Michelangeli. Das lag nicht daran, dass beide Italiener waren und am 5. Januar Geburtstag hatten, sondern an dessen pianistischer Genialität und unbestechlichem Qualitätsanspruch an sich selbst. Das bewunderte er und war ihm Vorbild.
Als er seine Widmung für die berühmte Galerie mit Bildern und Autographen von Steinway Artists, der sogenannten Wall of Fame bei Steinway Hamburg, zu Papier gebracht hatte, erkundigte er sich, ob dort denn auch ein Bild Michelangelis sei. Auf die Bestätigung hin fragte er in größter Bescheidenheit, ob es vielleicht möglich wäre, sein Bild in dessen Nähe anzubringen…? Und ob! Als wir ihm zeigten, dass wir sie direkt nebeneinander platziert hatten, war er überglücklich. Da sind sie vereint zu sehen, Seite an Seite, jeder am Klavier und in Noten schauend. Und im Pianistenhimmel können sie nun vierhändig spielen. Welch eine Vorstellung…
Die Klavierwelt ist eine andere ohne Maurizio Pollini. Die Verbundenheit zwischen ihm und der Steinway Family hält an. Wir sind traurig und dankbar. Unser Mitgefühl gilt seiner Frau Marilisa, seinem Sohn Daniele, seinen Freunden und den Musikliebhabern überall.
Fotos: Georg Anderhub, Gerrit Glaner © Steinway
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